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Vergütungsreform mit Ziel – JETZT

Impulspapier

Es herrscht Konsens, dass die Vergütungssysteme des deutschen Gesundheitssystems reformbedürftig sind. Die Zeit drängt nicht nur im Krankenhaussektor, wo sich die wirtschaftliche Lage dramatisch zuspitzt. Auch in der ambulanten Versorgung bilden EBM und GOÄ nicht das Geleistete ab und dürfen unter den Vorzeichen einer immer stärker sektorenverbindenden Versorgung nicht mehr isoliert betrachtet werden. Die Vergütung von Heil- und Hilfsmitteln ist ebenfalls nicht sinnvoll integriert. Was komplett fehlt, ist ein integriertes und einheitliches Vergütungssystem über alle Versorgungsbereiche hinweg, das auch einer integrierten Leistungserbringung den Weg ebenen würde.

Aktuell kommen im Bereich der Krankenhausvergütung durch die Regierungskommission häppchenweise Vorschläge zur Reform der DRG-Vergütung, zum Teil mit äußerst knappen zeitlichen Umsetzungszielen. Es fehlt aber an Klarheit, wohin die „Reform-Reise“ gehen soll.  In anderen Versorgungsbereichen sind keine substantiellen Reformbemühungen erkennbar.

Persistente Corona-Effekte, ein sich weiter verschärfender Fachkräftemangel, extrem steigende Energiepreise und eine hohe allgemeine Inflation führen dazu, dass viele Einrichtungen und Leistungserbringende mit dem Rücken zur Wand stehen. Der Krisenmodus wird dabei zum Dauerzustand und zermürbt die Beteiligten.

Hier sind sporadische Interventionen, Testballons und andauerndes Vor- und Zurück nicht zielführend. Die Beteiligten haben dafür keine Kapazitäten und keine Reserven – weder zeitlich noch wirtschaftlich noch gedanklich. Vor allem fehlt aber auf dieser inkonsistenten Grundlage die Planungssicherheit, um tatsächlich in neue Versorgungswelten aufzubrechen. Kurzfristige Reparaturversuche helfen weder dem System noch den Akteuren. So würde zum Beispiel eine Umsetzung der von der Regierungskommission vorgeschlagenen Tagesbehandlung im Krankenhaus einen deutlich erhöhten Personaleinsatz, die Neugestaltung von Prozessen und die Schaffung geeigneter räumlicher Infrastruktur erfordern. Vor diesem Hintergrund ist die damit verbundene Absenkung der DRG-Vergütung eher kontraproduktiv, da entsprechende Kosteneinsparungen in den Krankenhäusern genauso wie eine Entlastung des Pflegepersonals im Regelfall unrealistisch erscheinen.

Was die Akteure benötigen, ist ein klares Zielbild, das wichtige Eckpunkte definiert, mit einer realistischen Zeitschiene. Vergütungsreform JETZT impliziert, dass ein strukturierter Reformpfad erarbeitet und umgesetzt wird. Dies ist zu trennen von ggf. notwendigen Nothilfen, die das kurzfristige wirtschaftliche Überleben sicherstellen.

Die Forderungen der DGIV sind deshalb:

  1. Für die Vergütungsreform ist ein klares Zielbild zu formulieren, das auch die Rollen der verschiedenen Akteure im Zuge einer neu strukturierten stationären, hybriden und ambulanten Versorgung definiert.
  2. Hierzu ist ein Reformpfad mit klaren Meilensteinen und einer realistischen Zeitschiene zu entwickeln, der ambitioniert sein sollte, aber allen Beteiligten eine realistische Chance muss, sich auf die veränderten Rahmenbedingungen einzustellen.
  3. Die Reform muss auf eine integrierte Versorgung ausgerichtet sein und darf nicht an Sektoren- oder Vergütungssystemgrenzen halt machen. Wo sinnvoll, muss auch eine SGB-übergreifende Vergütung in Erwägung gezogen werden.
  4. Neu entwickelte Vergütungskonzepte müssen sich konsequent am Versorgungsbedarf orientieren und sollten dann dauerhafte Gültigkeit haben, um planungssicher die Strukturen entsprechend anzupassen.
  5. Wenn unterfinanzierte Bereiche bessergestellt werden, ist die Finanzierungsgrundlage klar zu benennen.
  6. Nothilfen müssen darüber hinaus sektorenunabhängig kurzfristig zur Verfügung gestellt werden.

Die aktuell sich abzeichnenden Maßnahmen sind gegenwärtig in keinerlei erkennbares Gesamtkonzepteingebettet. Insbesondere bei den geplanten Tagesbehandlungen erscheint der versprochene Nutzen mit Blick auf den intendierten Implementierungspfad unrealistisch. Die sektorenübergreifende Betrachtung, die beispielsweise auch praxisrelevante Fragen wie die des Erlaubnis- bzw. des Verbotsvorbehalts sowie der Bedarfsplanung klärt, fehlt.

Eine zukunftsweisende, tragfähige und die Sektoren verbindende Vergütungsreform kann nur mit den Leistungserbringenden gemeinsam erarbeitet werden. Die DGIV hat hierzu bereits im Positionspapier 2021festgehalten (https://dgiv.org/wp-content/uploads/2022/06/DGIV-Positionspapier2021.pdf):

„Unser aktuelles Gesundheitssystem zwingt sie [die medizinischen, heilberuflichen und pflegerischen Fachkräfte ebenso wie Krankenhäuser und sonstige Einrichtungen] derzeit dazu, sich nicht an einer erwünschten und vom Patienten erwarteten Versorgungsvernunft zu orientieren, sondern an einer fehlgeleiteten und bürokratisch überformten Verwaltungs- und Vergütungs-„Vernunft“. Es kann davon ausgegangen werden, dass Gesundheits-Profis ihre Patienten gut und angemessen (und vermutlich auch wirtschaftlich) versorgen wollen. (…) Viele Gesundheits-Profis haben längst innerlich gekündigt, weil ihnen im Laufe ihres Berufslebens sehr deutlich geworden ist, dass sich unsere Rahmenvorgaben für Verwaltung und Vergütung schon lange nicht mehr an den Erfordernissen einer patientenzen-trierten Versorgung orientieren.“

Die DGIV fordert, ausgehend von geeigneten Vergütungskonzepten und klaren Zielbildern künftig Versorgung gemeinsam zu gestalten!

Deutsche Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen e.V.

Der Vorstand