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Ärztenachrichtendienst: Lundershausen: „Versorgung wie bisher ist in Zukunftnicht mehr leistbar“

Sei es bei der Vergütung oder der Digitalisierung: Der massive Reformbedarf im Gesundheitswesen ist nach einem Jahr Ampelkoalition nicht kleiner geworden. Darin zeigten sich Vertreter von Wissenschaft, Industrie und Selbstverwaltung am Dienstag einig. Kammerchefin Lundershausen forderte daher wenigstens mehr Ehrlichkeit von der Politik.

„Vielleicht müsste man den Menschen auch mal sagen, dass Versorgung, so wie sie in der Vergangenheit war, zumindest mit den Strukturen, die wir haben, in Zukunft nicht mehr zu leisten sein wird“, sagte Dr. Ellen Lundershausen aus dem Bundesärztekammer-Vorstand beim Bundeskongress der Deutschen Gesellschaft für Integrierte Versorgung. Der eklatante Fachkräftemangel in allen Bereichen der Medizin sei bekannt. Es werde zwar von mehr Studienplätzen gesprochen, passiere aber wenig.

Auch bei der Krankenhausplanung beklagte Lundershausen eine Stagnation. Da warte der Bund ab, was Länderwahlen bringen würden. Sie kritisierte, dass die Selbstverwaltung zu wenig in die Reformvorhaben eingebunden werde. „Wir würden uns gern mehr einbringen, aber wir werden nicht gefragt“, sagte sie. Auch diese Kritik eint derzeit die Akteure.

DGIV fordert umfassende Vergütungsreform

 „Die Probleme sind adressiert, aber sie sind nicht in die Umsetzung gekommen.“ So lautet das Fazit von DGIV-Chef Professor Eckhart Nagel nach einem Jahr Ampelkoalition. Das erste Jahr einer Legislatur sei das Entscheidende. Daher betrachte auch die DGIV mit Unverständnis und Sorge betrachtet, wie sich Reformpläne konkretisieren und dass man das nur aus Papieren erfahre, sagte Nagel.

Für besonders dringend hält die DGIV eine umfassende Vergütungsreform. Dies sollte nicht nur im Krankenhaus gelten. Auch in der ambulanten Versorgung würden GOÄ und EBM das Geleistete nicht abbilden. Es fehle ein integriertes und einheitliches Vergütungssystem über alle Versorgungsbereiche hinweg. Auch die Vergütung in der Heil- und Hilfsmittelversorgung sei nicht sinnvoll geregelt, so die DGIV. Die Reform dürfe nicht an Sektorengrenzen halt machen. Statt sporadischer Interventionen fordert die DGIV ein klares Zielbild und Planungssicherheit. Die aktuellen Maßnahmen seien jedoch in keinerlei erkennbares Gesamtkonzept eingebettet.

Kassen und Kliniken sehen vertane Chancen

 Daniela Teichert vom Vorstand der AOK Nordost forderte vom Gesetzgeber einen Rahmen, der den Akteuren vor Ort Gestaltungsfreiheit lasse. „Wir wünschen uns, dass regionale Versorgungsplanung durch die Partner möglich ist und keine zentrale Regelung kommt“, sagte sie. Auch ihr fehlen bisher die großen Würfe. „Die stehen auch noch nicht auf der Agenda“, meint die Kassenchefin. Alle Punkte seien benannt, würden aber bisher nicht angegangen.

Dr. Gerald Gaß, Vorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft vertrat zwar die Auffassung, dass die Krankenhäuser zurecht im Fokus der aktuellen Reformen stehen würden, stimmte aber in die Generalkritik ein: „Das erste Jahr ist aus unserer Sicht eher enttäuschend, weil eine Vielzahl von Chancen nicht genutzt wurde.“ So seien Chancen zur Gestaltung der Ambulantisierung vertan worden, weil DKG und KBV zu Beginn des Jahres in Fragen der „ein Stück weit zusammengerückt“ waren. „Da hat es eine Annäherung gegeben, die der

Politik nicht hätte entgehen dürfen. Aber das ist passiert, weil Minister Lauterbach kein Zutrauen zur Selbstverwaltung hat“, sagte Gaß. Stattdessen habe er eine Regierungskommission gegründet, die „maximal intransparent hinter verschlossenen Türen“ agiere. Das sei verlorene Zeit und der Protest der Länder vorprogrammiert, weil sie nicht einbezogen würden. „Dann fangen wir bei der nächsten Bundestagswahl wieder von vorne an“, sagte Gaß. Diese Zeit habe man aber nicht mehr.

Stillstand in der Digitalisierung?

Auch in der Digitalisierung sei das vergangene Jahr ein vertanes Jahr, kritisierte Dr. Georg Münzenrieder aus dem Bayerischen Staatsgesundheitsministerium. „Die Mehrwerte kommen nicht an. Sie werden nicht gesehen, weder bei den Leistungserbringern noch bei den Bürgerinnen und Bürgern.“ Für sich betrachtet brächten die einzelnen Elemente ePA oder eRezept wenig. „Der Mehrwert ergibt sich aus dem Zusammenspiel. Dazu muss das System sicher laufen und das tut es im Moment noch nicht.“

Münzenrieder forderte eine Diskussion darüber, ob es analog zum Krankenhauszukunftsgesetz ein Praxiszukunftsgesetz geben müsse. Dringend nötig sei für die Digitalisierung ein einheitlicher Rahmen, der fachliche, technische und organisatorische Aspekte zusammenführe. Ob diese Digitalagentur die Gematik sein könne, müsse ebenfalls geprüft werden. zumindest müsse sie einen anderen Namen erhalten.

Eine „digitale Pause“ hat auch Dr. Eckhard Oesterhoff von Philips Deutschland nach dem Regierungswechsel beobachtet. „Im Formulieren von Zielstellungen sind wir gut, aber im Tun eben nicht“, sagte er. Enttäuscht zeigte er sich auch von den neu vorgelegten Eckpunkten zur Digitalisierungsstrategie. Das Papier schweige sich darüber aus, wer wann wie was tun solle.