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ÄND: „Ministerium muss jetzt engen Schulterschluss mit Praktikern suchen“

Die Reformvorschläge der Krankenhaus-Kommission haben bereits viele positive, aber auch kritische Reaktionen hervorgerufen. Und auch am Tag danach gibt es weitere Stellungnahmen. So ärgert sich etwa die Ärztekammer Bremen über Vorwürfe seitens des Bundesgesundheitsministers gegenüber der Ärzteschaft. Und die DGIV sieht eine Abwertung der Praktiker der medizinischen Versorgung.

 

Den Vorwurf, dass Ärztinnen und Ärzte medizinisch nicht notwendige Leistungen erbrächten, um die Erlöse der Krankenhäuser zu steigern, wies die Ärztekammer Bremen am Mittwoch zurück. „Patientinnen und Patienten aus Gewinnstreben möglichst billig zu behandeln, entspricht weder der ärztlichen Ethik noch der Realität“, sagte Kammer-Vizepräsidentin Christina Hillebrecht.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte am Dienstag bei der Vorstellung der Reformvorschläge gesagt, dass Klinikärzte einen sehr intensiven ökonomischen Druck empfinden würden. Er hatte dabei auf Arbeitsverträge verwiesen, die Mehrleistungen belohnen. Wie viele unnötige Eingriffe vorgenommen würden, sei nicht wissenschaftlich erfassbar, so der SPD-Politiker. Man wisse aber, dass etwa sehr aufwändige und gewagte Eingriffe auch bei Patienten am Lebensende vorgenommen würden, bei denen der medizinische Gewinn gering sei.

Alles in allem jedoch bezeichnete die Ärztekammer Bremen das vorgelegte Konzept als einen „Schritt in die richtige Richtung“. Ob das Konzept den aktuell bestehenden ökonomischen Druck ausreichend reduziere, bleibe abzuwarten, sagte Hillebrecht. „Aus Sicht der Ärzteschaft wäre eine Abschaffung der Fallpauschalen insgesamt notwendig, mindestens aber die gesonderte, ausreichende Finanzierung aller patientenbezogenen Personalkosten.“ Nicht nur die Vergütung der examinierten Pflegekräfte, sondern auch andere Personalkosten im Zusammenhang mit der Patientenversorgung müssten aus den Fallpauschalen herausgenommen werden. Das gelte für ärztliche Leistungen gleichermaßen wie für Medizinische Fachangestellte, Hebammen oder Physiotherapeutinnen und -therapeuten.

Kritik übte Hillebrecht daran, dass Beteiligte wie Ärztekammern, Krankenkassen, Krankenhausgesellschaft, aber auch die für die Krankenhausplanung zuständigen Bundesländer nicht in die Entwicklung der Reformvorschläge einbezogen worden seien. „Das muss sich dringend ändern“, sagte die Kammer-Vize und forderte. „Die vorgelegten Vorschläge müssen jetzt zeitnah mit den vor Ort unmittelbar Betroffenen diskutiert werden.“

Ähnliches fordert auch die Deutsche Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen (DGIV). Deren Vorsitzender Prof. Eckhard Nagel betonte, spätestens jetzt müsse das Bundesgesundheitsministerium den engen Schulterschluss mit den Praktikern aus dem Alltag der medizinischen Versorgung und mit den Patientenvertretern suchen. Es sei besorgniserregend, dass die Positionen fachkundiger Interessenvertreter aus dem täglichen Versorgungsalltag immer wieder als „Lobbyisteneinflüsse“ diskreditiert würden. „Ich sehe natürlich auch die Gefahr, dass die neuen Ansätze zur Überwindung alter Versorgungsstrukturen von Berufsbremsern im System zerredet werden“, sagte Nagel. „Ich empfehle jedoch mit denjenigen Akteuren das Gespräch zu suchen, die zum Teil schon seit Jahren nach neuen Wegen durch einen integrierten Systemumbau suchen.“

Letztlich seien die Kommissionsvorschläge aber eine gute Grundlage, um an der Schnittstelle zwischen ambulant und stationär weiterzukommen. „Allerdings müssen wir nun natürlich noch sehen, wie die Vorschläge in einen Gesetzentwurf einmünden, welche Veränderungen dieser Entwurf dann im parlamentarischen Prozess erfährt und was schließlich auch die Länder noch für einen Einfluss nehmen“, sagte der DGIV-Vorsitzende. „Es liegt also noch ein langer Weg vor einer erfolgreich abgeschlossenen Krankenhausreform mit belastbaren Verbindungsbrücken zur ambulanten Versorgung, die sich jetzt in den Kommissionsvorschlägen zeigen.“

Grundsätzliche Zustimmung zum Reformkonzept kommt auch vom Hartmannbund. Dessen stellvertretende Vorsitzende Prof. Anke Lesinski- Schiedat sagte am Mittwoch: „Zumindest ein Anfang ist gemacht. Jenseits der Bewertung einzelner Maßnahmen gibt es jetzt eine Grundlage, auf deren Basis wir die dringend notwendigen Strukturveränderungen in Angriff nehmen können.“

Letztlich hänge die Umsetzung aber maßgeblich davon ab, inwieweit es gelinge, die Länder als wesentliche Akteure des Geschehens von der Reform zu überzeugen. So ließen sich die geplanten einheitlichen Standards für die Einordnung in Versorgungsstufen sowie die Einführung von definierten Leistungsgruppen nur gemeinsam mit ihnen definieren und umsetzen. „An dieser Stelle würde das Papier mehr Optimismus verbreiten, wenn es neben dem Konzept für die leistungsbezogene Finanzierung wenigstens dezente Hinweise darauf enthielte, wie das nach wie vor zentrale Problem der unzureichenden Investitionskostenfinanzierung durch die Länder gelöst werden soll“, sagte Lesinski-Schiedat.

Als „spannend“ bezeichnete die Hartmannbund-Vize den Vorschlag der Kommission, Krankenhäuser, die „integrierte ambulant/stationäre Versorgung“ anbieten, sektorenübergreifend regional zu planen, sie vollständig aus dem DRG-System herauszunehmen und über Tagespauschalen zu vergüten. Dies sei sicher eine Facette des Reformwerkes, bei der es sehr darauf ankomme, die Balance in den Strukturen des Gesundheitssystems nicht zu verlieren.

Darüber hinaus begrüßte Lesinski-Schiedat, dass das Konzept die Finanzierung von Vorhaltekosten beinhalte. „Allerdings braucht es darüber hinaus zusätzlich eine Reform, die auch die verbleibenden Fallpauschalen als solche mindestens konstruktiv in Frage stellt.“ Die Herausnahme auch ärztlicher Leistungen aus den DRGs sei in diesem Zusammenhang nur einer der Punkte, der in Angriff genommen werden müsse. „Inwieweit dieses komplexe Unterfangen wirklich umgesetzt werden kann, hängt am Ende nicht nur von den unterbreiteten Vorschlägen und deren notwendiger weiterer Modifizierung ab, sondern vor allem auch davon, in welchem Maße es gelingen wird, im konstruktiven Dialog die Player des Gesundheitssystems auf dem Weg zur Reform einzubinden und mitzunehmen“, sagte Lesinski-Schiedat.

Freie Ärzteschaft sieht mehr Fragen als Antworten

Für die Freie Ärzteschaft wirft Lauterbachs Reformvorhaben jede Menge Fragen auf. „Wieso soll das Fallpauschalen-System eigentlich erhalten bleiben und nur durch weitere Finanzierungsmöglichkeiten ergänzt werden? Warum wird in der Diskussion nicht erwähnt, dass die SPD-Gesundheitspolitik unter besonderem Einfluss von Herrn Lauterbach selbst dafür gesorgt hat, dass die Kliniken inzwischen weitgehend privatisiert sind und seit Jahrzehnten Investoren maximale Gewinne aus der stationären Versorgung ziehen? Und dass die SPD-Gesundheitspolitik maßgeblich dafür gesorgt hat, dass private Investoren sich auch im ambulanten Sektor in Form von MVZ besonders in lukrativen Bereichen wie Augenheilkunde, Nephrologie, Radiologie, Labor und Zahnmedizin breit gemacht haben“, kritisierte FÄ-Chef Wieland Dietrich am Mittwoch.

Außerdem ignoriere der Minister weiterhin die Probleme der Praxen: „Vor allem die Hausarztpraxen, Kinderärzte, Internisten, HNO-Praxen und andere gehen auf dem Zahnfleisch, und wir bekommen keinerlei Unterstützung in Form eines Inflationsausgleichs oder eines Coronabonus für unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen“, sagte Dr. Silke Lüder, Vizevorsitzende der Freien Ärzteschaft. Der Bundesgesundheitsminister schaue nur in Richtung der Kliniken. Und vergesse dabei, „dass die ambulanten selbständigen Praxen die Basis der immer noch funktionierenden Medizin in Deutschland sind“, kritisierte Lüder.

In seiner jetzigen Form fahre die Gesundheitspolitik die ambulante Medizin an die Wand. Dietrich: „Und wenn dann noch mehr Patienten in die Kliniken drängen, wird die Medizin in Deutschland noch teurer und schlechter statt günstiger und besser.“

07.12.2022 13:05, Autor: sk, © änd Ärztenachrichtendienst Verlags-AG

Quelle: https://www.aend.de/article/220982