Der Fachkräftemangel bleibt eine der größten Herausforderungen für das deutsche Gesundheitswesen. Er betrifft alle Berufsgruppen und beeinträchtigt schon heute die Versorgungsqualität. Welche Weichen kann die Politik zum Wohle von Patient:innen stellen, um Versorgungslücken zu schließen? Ist die Lösung die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland? Oder künstliche Intelligenz? Das diskutierten Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manne Lucha und Expert:innen aus Wissenschaft und Versorgung beim dritten Stuttgarter Gesundheitsgespräch des Bosch Health Campus.
Die Herausforderungen sind klar: Es besteht ein Mangel an ausgebildeten Fachkräften, die Arbeitsbedingungen sind schlecht und es fehlen wirksame Strategien zur Mitarbeiterbindung. Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel, Geschäftsführender Direktor am Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften der Universität Bayreuth, stellte beim dritten Stuttgarter Gesundheitsgespräch verschiedene Strategien zur Bewältigung des Fachkräftemangels vor und verknüpfte seine Analyse mit ethischen und ökonomischen Aspekten in modernen Gesundheitssystemen.
Es wurde deutlich: Es gibt kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Hier ist die Politik gefragt. Entsprechend brachte sich Manne Lucha, Baden-Württembergs Gesundheitsminister, in die Diskussion ein: „Die Menschen wollen von uns Versorgungssicherheit. Es gibt gute Modellprojekte, diese müssen wir in den Regelbetrieb übertragen und Offenheit für neue Ideen zeigen. Wir müssen sektorale Grenzen sowie berufsständische Eitelkeiten überwinden und die aktuelle Überregulierung reduzieren.“
Zu internationalen Standards aufschließen
Im Fokus der Diskussion stand dann das Thema Arbeitsmigration mit der Frage, warum es Deutschland nicht mehr gelingt, attraktive Anwerbeabkommen für ausländische Fachkräfte anzubieten. Die Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) Bundesverband e. V. Bernadette Klapper zeigte sich überzeugt: „Die Anwerbung und Bindung von Pflegenden aus dem internationalen Raum werden nur gelingen, wenn wir in Deutschland unsere Hausaufgaben machen: die vorhandenen Kompetenzen der Pflegefachpersonen besser nutzen und steigern, Verantwortung und Eigenständigkeit zutrauen und in der Bildung zu internationalen Standards aufschließen mit einer höheren Quote akademisch qualifizierter Kolleg:innen.“
Künstliche Intelligenz zur Entlastung des Personals
Des Weiteren sprachen die Expertinnen und Experten über die Frage, inwieweit Digitalisierung und künstliche Intelligenz dazu beitragen können, den Fachkräftemangel zu entschärfen. „Eine konsequente Digitalisierung, die Nutzbarkeit von Daten sowie die Entwicklung von KI-Algorithmen können zum einen eine große Entlastung für das medizinische und pflegerische Personal bringen und zum anderen die Sicherheit für Patientinnen und Patienten erhöhen sowie Liegezeiten reduzieren“, sagte Professor Dr. Mark Dominik Alscher, Geschäftsführer des Bosch Health Campus.
Gesundheit: Ein besonderes Gut wie Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit
Insgesamt, so war der Konsens, können Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Fachkräfte-Import allerdings nur einzelne Bausteine sein, jedoch kein Allheilmittel. Eckhard Nagel erinnerte daran, dass es bei der Gesundheitsversorgung um viel mehr als nur eine individuelle Behandlungsoptimierung geht, und zwar um ein „existentielles Momentum für die Gesellschaft“: „Die Gesundheit ist ein konditionales Gut wie Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit. Diese besonderen Güter sind Bedingung für ein stabilisierendes Fundament einer Gesellschaft. Um dieses Fundament zu bewahren und weiter auszubauen, bedarf es gesellschaftlicher Verabredungen – darunter adäquater gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Gesundheitsversorgung.“ Um entsprechende Veränderungen auf den Weg zu bringen, wandte sich Mark Dominik Alscher noch einmal direkt an die Politik: „Die Menschen machen sich ohnehin viele Sorgen über die Zukunft. Die Gesundheitspolitik muss ihr Vertrauen zurückgewinnen und ihnen Sicherheit geben. Und wir müssen neue Lösungen suchen. Dazu zählt, die Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung sowie zwischen den Gesundheitsberufen neu aushandeln.“