Berlin – Nach dem Zerfall der Ampelregierung und den anstehenden Neuwahlen ist es aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen e.V. (DGIV) ausgeschlossen, dass die diversen Reformgesetzte von Karl Lauterbach noch umgesetzt werden. „Auch wenn die DGIV viel Kritik an den Reformentwürfen geübt hat, enthielten sie eine Vielzahl von sinnvollen Maßnahmen, die das aktuell ausgesprochen angespannte und fragile Gesundheitssystem dringend gebraucht hätte“, so der DGIV-Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel.
Intensiv wurden im Rahmen des Kongresses vor allem die regionalen Potentiale für die Gesundheitsversorgung beleuchtet. „Wir müssen uns von dem Gedanken befreien, dass zentral von Berlin aus geregelt werden kann, was sich in den Regionen mit ihren verschiedenen Akteursgruppen immer wieder anders darstellt“, so Prof. Nagels Analyse nach den Vorträgen und Diskussionen des DGIV-Kongresses. Hier gäbe es zwar punktuelle Ansätze in verschiedenen Teilen der Gesetzgebung – beispielsweise die Ambulant Spezialfachärztliche Versorgung nach § 116b –, doch seien keinerlei Ansätze erkennbar, diese Potentiale aufzugreifen und im Rahmen einer Bundesgesetzgebung zu systematisieren. „Wir haben deswegen bei Prof. Thomas Schlegel von der Kanzlei für Gesundheitsrecht ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die strukturelle Sektorentrennung unserer Sozialgesetzgebung systematisch analysiert und nach Möglichkeiten zu deren Überwindung fragt.“
Der Impulsvortrag Prof. Schlegels griff diesen Auftrag auf und stellte differenziert dar, dass zwar im Sozialgesetzbuch V ein Leistungsanspruch für die Versicherten zur Kooperation der einzelnen Versorgungsebenen formuliert sei, dass aber dieser Anspruch in den leistungsrechtlichen Teilen des SGB V letztlich nicht eingelöst werde. „Was also der Gesetzgeber im Grunde weiß und als Aufgabe des Systems benennt, wird dann in den entsprechenden Ausführungsvorschriften nicht umgesetzt. Hier regiert nach wie vor die alte Kameralistik der Kaiserzeit“, so die Analyse Prof. Schlegels. Aufgabe müsse es nun sein, die verschiedenen differenziert sektorenübergreifenden Versorgungsansätze, die das SGB V bisher vorrangig optional biete, von der Option zur Regel zu machen und damit das Gesundheitssystem vom Kopf auf die Füße zu stellen. „Das sind wir nicht nur den Patientinnen und Patienten, sondern auch den Versorgungsprofis und letztlich den Versicherten schuldig, die schließlich dieses nicht mehr funktionale System finanzieren.“
Nur die Region, so Prof. Nagel ergänzend, sei diejenige Instanz, in der eine solche intersektorale, interprofessionelle und interdisziplinäre Versorgung umgesetzt und konkret gelebt werden könne. „Vor Ort werden die Verantwortungsgemeinschaften gebildet, die den jeweils tatsächlichen Versorgungbedarf in den Blick nehmen. In diesem Sinne brauchen wir vom Bund eine Rahmengesetzgebung, die die Bildung entsprechender Verantwortungsgemeinschaften als neues Paradigma der Regelversorgung ermöglicht“, so der Appel des DGIV-Vorstandsvorsitzenden.
Link zum Gutachten von Prof. Schlegel: https://dgiv.org/wp-content/uploads/2024/11/GutachtenSchlegelSGBV25112024.pdf