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DGIV-Chef Nagel: Verheddern uns bei integrierter Versorgung im Klein-Klein

Die Politik ist für die Sektorentrennung mitunter selbst verantwortlich, sagt der DGIVVorstandsvorsitzende und Arzt Professor Eckhard Nagel. Kritisch äußert er sich auch zum Vorgehen bei der Klinikreform.

Das Programm für ihren Bundeskongress am 28. November hatte die Spitze der Deutschen Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen (DGIV) schon aufgeschrieben. Fragen wollte man, welche der ausstehenden Gesetzgebungsverfahren für das Gesundheitssystem noch realistische Chancen auf Umsetzung haben. „Diese Frage können wir uns nun sparen“, sagt der DGIV-Vorstandsvorsitzende und Arzt, Professor Eckhard Nagel, der auf das frühzeitige Aus der Ampel anspielt.

Memorandum soll Handlungsbedarfe aufzeigen

Inzwischen steht fest, dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) am 16. Dezember die Vertrauensfrage im Bundestag stellen will und es am 23. Februar Neuwahlen gibt. Und weil das so ist, hat die DGIV aus der Not eine Tugend gemacht. „Wir wollen auf unserem Kongress ein Memorandum erstellen, das Handlungsnotwendigkeiten aufzeigt und somit eine Art Fahrplan für diejenigen Politikerinnen und Politiker beschreibt, die in der neuen Legislaturperiode an der Spitze des Bundesgesundheitsministeriums stehen und im Gesundheitsausschuss des Bundestages sitzen“, sagt Nagel.

Gutachten legt Finger in die Wunde

Einfließen sollen auch Erkenntnisse eines Gutachtens, das der Jurist Professor Thomas Schlegel erstellt hat. „Das SGB V ist überwiegend sektorentrennend und professions- und einrichtungsabgrenzend strukturiert. Die wenigen im SGB V vorhandenen sektorenübergreifenden und/oder interprofessionellen Ansätze, wie in Kapitel 4 insbesondere in den Abschnitten 8 und 11 aufgeführt, sind überwiegend optional und keineswegs verpflichtend durch die Krankenkassen umzusetzen“, betont Schlegel.

„Alle anderen Abschnitte adressieren in der Regelversorgung abgegrenzte Leistungserbringer und damit verbundene Sektoren. Sie fokussieren auf den Sektor und nicht die Versorgung nach medizinischer Indikation.“ Als ein Beispiel führt die DGIV den Paragrafen 115 SGB V an – jenen Paragrafen, der „dreiseitige Verträge und Rahmenempfehlungen“ zwischen Kassen, Kliniken und Vertragsärzten regelt.

Inzwischen hat die Sache zahlreiche Erweiterungen erfahren. Geregelt werden mit dem 115 mittlerweile etwa die vor- und nachstationäre Versorgung im Krankenhaus, das ambulante Operieren inklusive AOP-Katalog, ferner die tagesstationäre Behandlung und die spezielle sektorengleiche Vergütung – firmierend auch unter Hybrid-DRG.

Wildwuchs im Paragrafen 115 SGB V

„Seit mehr als 20 Jahren versuchen wir, mit Ausnahmeparagrafen integrierte Versorgung zu organisieren und die Schnittstellen aufzuweichen – und verheddern uns im Klein-Klein“, sagt Nagel. „Irgendwann gehen uns im Paragrafen 115 die Buchstaben aus.“

Mit dem Finger allein „auf die Politik“ zeigen, das wollen die Mitglieder der DGIV, darunter Mediziner, Pflegefachkräfte, Kassenvertreter und Wissenschaftler, aber nicht. „Man kann darüber klagen, dass die Politiker es nicht hinbekommen“, sagt Nagel. „Aber die Verantwortung für die Organisation des Gesundheitswesens (https://www.aerztezeitung.de/Politik/Deutschland-Bei-der-Lebenserwartung-erstmals-unter-EU-Schnitt-454488.html) liegt primär in der gemeinsamen Selbstverwaltung.“ Die trete immer wieder mit „sehr individuellen“ und im Hinblick auf die Sektoren „sich abgrenzenden Interessen“ auf. Das aber führe zum Scheitern.

Beherrschen wird den Kongress der DGIV auch die vom Bundestag beschlossene und vom Bundesrat inzwischen gebilligte Klinikreform (https://www.aerztezeitung.de/Politik/Weiterer-Verlauf-der-Krankenhausreform-ungewiss-454618.html) von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

Wie viel intersektorale Versorgung steckt im Klinikgesetz

Die Reform entspräche zwar in einigen Punkten nicht dem, was viele für nötig erachteten. „Aber gar nichts zu tun, das wäre das mit Sicherheit Schlechteste in der Lage, in der sich die Kliniken befinden.“ Und wie viel intersektorale Versorgung steckt im Klinikgesetz, das immerhin die Möglichkeit zur Umwandlung kleinerer Kliniken in sektorenübergreifende Einrichtungen vorsieht?

„Wenn es kein Etikettenschwindel wäre, würde ich voll und ganz dahinterstehen.“ Nagel verweist auf das Modell der intersektoralen Gesundheitszentren (IGZ), an dem auch Forscher der Universität Bayreuth beteiligt waren.Der Kerngedanke: Eine erweiterte ambulante Versorgung, die eine Betreuung von Patienten für drei bis fünf Nächte ermöglicht, den Fokus auf den allgemeinärztlichen-hausärztlichen Bereich legt, diesen – sofern nötig – um fachärztliche Angebote erweitert und sich über eigene Budgets finanziert. Entsteht ein IGZ, schließt ein kleines Krankenhaus seine Pforten.

IGZ wären die richtige Blaupause gewesen

Von bundesweit rund 640 Gesundheitszentren gehen die Modellmacher aus – verbunden mit bis zu 27 Prozent niedrigeren Kosten für die GKV. Die IGZ seien als „echte Verbindung von ambulanter und stationärer Leistungserbringung definiert“ und sorgten damit für ein „wirklich neues Angebot“, so Nagel.

Die mit der Klinikreform geplanten sektorenübergreifenden Einrichtungen würden dagegen weiter „als Krankenhäuser gewertet“ und sollten im Wesentlichen über stationäre Budgets finanziert sein. „Das kennen wir ja schon aus der gemeinsam zu erbringenden Notfallversorgung (https://www.aerztezeitung.de/Politik/Gesundheitsoekonomen-warnen-vor-monatelangem-Reformstillstand-454334.html?searchtoken=zZ4BjuOApbq9Cm5STm0pWy22u1w%3d&starthit=10) , bei der ambulanter und stationärer Sektor per Fuß eintreffende Patienten dann der richtigen Versorgungsebene zuordnen sollen. Das funktioniert nur sehr schlecht.“

Wie auch immer: Nagel hält den Verhandlungsprozess zur Krankenhausreform für eine Katastrophe. „Dass die Bundesregierung nicht in der Lage war, beim überfälligen Umbau der Krankenhausstrukturen einen gemeinschaftlichen Weg mit den Ländern zu finden, ist – gelinde gesagt – ein starkes Stück.“

Die Gefahr sei nun, dass sich „Ankündiger“ vermeintlich einfacher Lösungen hervortäten. Solche Antworten funktionierten aber nicht, betont Nagel. „Deshalb wollen wir auf unserem Bundeskongress durchdachte Lösungen präsentieren.“