Eine systematische Vereinfachung des fünften Sozialgesetzbuchs fordert die Deutsche Gesellschaft für Integrierte Versorgung. Der Medizinrechtler Professor Thomas Schlegel plädiert dabei für einen Paradigmenwechsel hin zur Festlegung von Versorgungszielen.
Schlegel hat im Auftrag der DGIV untersucht, inwieweit systematische Fehler im SGB V dazu führen, dass sektorenübergreifende integrierte Versorgung immer wieder scheitert. Ein wesentliches Augenmerk legte der Medizinrechtler bei seinem Gutachten auf die Ansprüche chronisch und schwer kranker Patienten. Die Leistungsversprechen für die Versicherten seien sehr umfänglich, stellte Schlegel fest. Er verwies auch darauf, dass die Krankenkassen durch den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich für diese Versicherten viel Geld bekommen.
Das SGB V adressiere aber in erster Linie nicht Versorgungsansprüche von Versicherten, sondern Leistungserbringergruppen und organisiere für sie bilaterale Beziehungen zu Krankenkassen. Erst in späteren Paragraphen würden Versorgungssysteme adressiert und dazu teilweise auch eine intersektorale Zusammenarbeit vorausgesetzt, so Schlegel. Beispielhaft verwies er auf den §140a SGB V, der die Besondere Versorgung regelt (früher: Integrierte Versorgung).
Schlegel kommt zu dem Ergebnis, dass die Möglichkeiten zur intersektoralen Zusammenarbeit im Prinzip im Gesetz schon gegeben sind. Aber: „Es gibt keine verpflichtende, standardisierende, sektorenübergreifende Versorgungsnotwendigkeit, die sich im Gesetz abbildet.“ So sei ein Großteil dieser Versorgungsmöglichkeiten „sehr stark davon abhängig, wo ich wohne und bei wem ich versichert bin“.
„Wir brauchen zwingend strukturierte Versorgungsziele“
Auch die mit der Krankenhausreform geplanten sektorenübergeifenden Versorger oder Level-1i-Krankenhäuser seien nichts wesentlich Neues, so Schlegel. Die ersten Regionalversorgungszentren in Niedersachsen seien zwar vielversprechend. Sie würden aber in erster Linie dazu dienen, Versorgung zu sichern.
„Was wir zwingend bräuchten, sind strukturierte Versorgungsziele“. Diese seien im SGB V eher die Ausnahme. Am Ende werde man nicht umhinkommen, die Systematik des Sozialgesetzbuchs nach Akutbedürfnissen und nach Schweregraden so neu zu sortieren, dass Versorgungsstrukturen einem Behandlungspfad und einem Versorgungsziel folgen.
Beispielhaft verwies Schlegel auf die Regelungen zur Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV). Sie setzen nach seiner Lesart von Anfang an ein Versorgungsziel in den Fokus und definieren Marktzugangsregelungen. Diese seien ein wichtiger Punkt. „Wir müssen Bedarfsplanung neu denken“, sagte Schlegel. Zudem sei die Frage, wie die Vergütung zu gestalten sei. Die Geldverteilung hänge an der Bedarfsplanung und beides dürfe nicht sektorenspezifisch organisiert sein. Der Medizinrechtler schlug vor, dass das bereits bestehende §90a-Gremium, in dem die Länder Vertreter aller Versorgungsbereiche an einen Tisch holen, dahingehend eine neue Funktion erhält.
DGIV sieht erheblichen Handlungsbedarf für neue Bundesregierung
Die DGIV sieht sich durch das Gutachten bestätigt. „Es bestätigt uns in dem Verdacht, dass hier erheblicher Handlungsbedarf ist“, sagte DGIV-Chef Professor Eckhard Nagel am Dienstagnachmittag bei einem Pressegespräch.
Der Gesetzgeber habe bei allem guten Willen, in Einzelfällen Lösungen zu schaffen, mittlerweile ein so komplexes System geschaffen, „dass systematische Fehlorientierungen die Folge sind, die uns handlungsunfähig machen“, so Nagel weiter. Es sei nötig, Hürden abzubauen, die systematisch durch die Gesetzgebung aufgebaut wurden. Man werde das SGB V nicht neu schreiben, aber „es drastisch auszumisten und systematisch zu vereinfachen, ist notwendig“, sagte er.
Nagel unterstrich, es sei ein Anliegen der DGIV, „dass für Patientinnen und Patienten die Sektorengrenze nicht zu einer unüberwindbaren Mauer wird“. Daher mahne die DGIV bei der künftigen Bundesregierung Handlungsbedarf an. An der Grundlogik der Sektorentrennung ändere auch die Krankenhausreform und die Einführung der sogenannten Sektorenübergreifenden Versorger nichts. Die Finanzströme würden dadurch nicht anders organisiert und sie würden immer wieder zum Scheitern führen. Die Ausnahmeregelungen seien auch unübersichtlich. So habe etwa §115, der dreiseitige Verträge zwischen Krankenkassen, Kliniken und Vertragsärzten regelt, inzwischen schon sehr viele Ziffern und funktioniere dennoch nicht.
12.02.2025 08:12, Autor: , © änd Ärztenachrichtendienst Verlags-AG
Quelle: https://www.aend.de/article/233334